AND I’M FAR FAR AWAY….

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SANDY

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Es war Liebe auf den ersten Blick. Seine, nicht meine. Er hat Dich gesucht und gefunden. Beim ersten Date war ich dabei, bei der Probefahrt. Und jetzt? Jetzt gibt es nur noch uns beide, Du knallroter 944er. Ich hab Dir versprochen, Dich mit nach Dänemark zu nehmen.

Du bist die sprichwörtliche Schachtel Pralinen, bei der man nicht weiss, was man bekommt. Klar, Du warst durchgecheckt von der Garage, an die Dich Dein Erstbesitzer schweren Herzens zum Verkauf gegeben hat, weil er Dich nach 28 Jahren nicht mehr fahren konnte. Aber was steckt wirklich in Dir, in Deinem Vierzylinder? Noch nicht mal 138 000 Kilometer hattest Du auf der Uhr. Die Vermutung lag nahe, dass Du in jetzt 29 Jahren nie wirklich an Deine Grenzen gekommen bist. Dein zweiter Besitzer war eigentlich Dein Glücksfall, denn er war ein Porschelover vor dem Herrn, Auto-Afficionado aus Leidenschaft mit Leidenschaft und brannte dafür, Dich auszufahren. Wir haben Dich zusammen inspiziert, Dich von oben bis unten angeschaut, Probe gefahren. Genau zwei Mal hat er es dann noch geschafft, Dich auszuführen, bevor dieser idiotische Krebs ihn ausgeschaltet hat. Jetzt also nur noch Du und ich und ich halte mein Versprechen.

Baby, warum zitterst Du?

Die ersten Fahrten mit normal hoher Geschwindigkeit verheissen nichts Gutes, Du vibrierst, wenn die Tachonadel über 80kmh geht. Das ist kein nervöses Pennälerzittern, das ist irgendwas Grundlegendes. Die Garage meines (Porsche-)Vertrauens diagnostiziert ausgeschlagene vordere Radlager und verordnet Austausch. Anschliessend bist Du wie ausgewechselt. Trotzdem gehen wir es langsam an auf der ersten längeren Reise. Ich weiss es nicht, aber ich könnte schwören, Du bist nie über 120kmh gefahren worden. Du wirkst zäh, angestrengt. Nach 500 Kilometern auf Deutscher Autobahn gibt sich das (rund um Stuttgart bist Du irgendwie lebendiger geworden – Heimatgefühle?). Auf der Rückfahrt wage ich es sogar, Dich auf 160kmh zu bringen, der Motor schnurrt wie ein junges Kätzchen. Dann also.

Das Glück gehört den Mutigen

Wir starten an einem heissen Sommertag, Du hast noch Kassettenrecorder, ich zum Glück alle meine Tapes aus Teenagerzeiten behalten. Lauter selbstaufgenommene Lieblingssongs, Abba, Bee Gees und Carly Simon tragen uns über die erste Etappe von Zürich nach Wiesbaden. Es ist der Anfang des heissesten Sommers seit Hundert Jahren. Du hast keine Klimaanlage, zum Glück habe ich noch das Relais für die Dachöffnungsautomatik auswechseln lassen. Trotzdem wird es heiss, da Du keine Innenraumtemperaturanzeige hast, weiss ich nicht, wie sehr. Egal, der Spass überwiegt, überall, wo wir auftauchen, ernten wir Daumen hoch. Auch in den neuen Bundesländern, der zweite Stopp ist Zossen, ein kleines Dorf ausserhalb Berlins. Du passt irgendwie gut in die Retro-Umgebung, Du stammst sogar aus dem Jahr des Mauerfalls 1989. Auch Berlin selbst wird zur Triumphfahrt, Dein Anblick weckt keine Neidgefühl, nur anerkennende Blicke.

Am Ende das Meer

Die Temperaturen steigen immer weiter und so fällt die Entscheidung, nach einem Zwischenstopp in Lübeck den Weg nach Dänemark an einem klassischen Bettenwechsel-Samstag, an dem sich naturgemäss Tausende Autos in beide Richtungen stauen, vor dem Sonnenaufgang anzutreten. Es ist beinahe kühl, die Sonne ist nur schwach zu ahnen, als wir uns auf den Weg machen. Gut 1200 Kilometer liegen bereits hinter uns und Du hast nur einen Liter Öl verbraucht bisher, kein Kühlwasser extra benötigt, mir geht fast das Herz über angesichts soviel Genügsamkeit. Nach nicht mal vier Stunden erreichen wir unser Ziel: Vejers Strand in Westjütland, Dänemark. Der kleine Ferienort hat eine Hauptstrasse, die schnurgerade auf den Strand führt. Um kurz nach 9 Uhr ist hier noch nicht viel los, die Feriengäste sind mit Packen und Abreisen beschäftigt. Und zum Sound des Roadtrip-Songs «Far Far Away» von Slade rollen wir ganz alleine bis an das Meer. Ich stelle Dich ab, klappe Deine Augen zu, streichle Deine Motorhaube dankbar und tauche meine Füsse ins Meer. Angekommen. Merci, Rote Zora, so hätte Dich Dein Vorbesitzer getauft, hätte er noch die Kraft dazu gehabt.

PS: Den Weg zurück in die Schweiz hat der 944er ebenfalls völlig problemlos gemeistert, die letzten 1000 Kilometer in einem Rutsch, insgesamt waren wir 3500 Kilometer in gut drei Wochen unterwegs. Zwar mag die Dachautomatik anscheinend keine hohen Temperaturen und steigt ab und zu mal aus, aber das ist eine Macke, die man verschmerzen kann.

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