DIE SONNENGÖTTIN

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Lichtgestalt Künstlerin Modedesignerin Frau Foto © Makato Nakagawa

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Es gibt sie, die Frauen mit ganz besonderer Strahlkraft. Kazu Huggler ist so eine. Sie leuchtet, wenn man sie anschaut, von innen und nach aussen. Ein wenig wie Amaterasu, die japanische Sonnengöttin. Amaterasu gilt als die Urahnin der kaiserlichen Familie Japans. Und in einer alten Chronik wird berichtet, dass sich die Sonnengöttin einst aufgrund einer grausamen Tat ihres Bruders Susano, Gott der Winde und der Unterwelt, in einer Höhle verkroch. Nicht gut für die Welt, denn alles verdunkelte sich, ewiger Winter brach herein. Die anderen Götter versuchten alles, um Amaterasu wieder hervorzulocken. Sie feierten eine Party und machten die Sonnengöttin mit ihrem Lärm so neugierig, dass sie doch den Stein beiseite rollte, der die Höhle verschloss und nach draussen spähte. Dort hatten ihre Götterfreunde einen Spiegel aufgehängt, in dem sich Amaterasus Strahlen spiegelten, kaum hatte sie den Kopf herausgestreckt. Die Sonnengöttin erkannte ihr eigenes positives Bild und die Welt kann sich seitdem wieder in ihrem warmen Glanz sonnen.

Textile Kunst

Für eine Ausstellung im Museum Rietberg in Zürich hat Kazu Huggler diese Sage textil interpretiert. Sie kann so etwas, denn für Kazu Huggler ist Kleidung immer auch Kunst, Ausdrucksmöglichkeit und Huldigung an den Körper, der darin steckt. Und Statement. Kazu Huggler hat sich entschieden, nicht mehr saisonal Mode zu produzieren, sondern das zu entwerfen und nähen, wonach sie sich gerade fühlt und was sie für wichtig hält. Das ist mutig. Und konsequent, angesichts der Probleme, die der Modezirkus unweigerlich aufwirft.

Elegantes Vorbild

Um zu verstehen, wie diese zarte Person tickt, muss man ein wenig ihre Geschichte ergründen. Kazu kommt in Japan zur Welt als zweite Tochter von dreien einer Japanischen Mutter und eines Schweizer Vaters. Sie besucht eine traditionelle japanische Schule, wächst traditionell auf. Wenn auch cosmopolitisch angehaucht, denn schon die Grossmutter Yuriko Yasuda, für die Enkelin ein Vorbild an Eleganz, war in London aufgewachsen und gründete in Japan eine Schule für englische Konversation für Kinder. Kazu lernt eine Kultur voller Zurückhaltung kennen, aber auch voller Stil und Rücksicht. Wertschätzung ist nicht nur ein Wort, sondern eine Lebenshaltung, Wertschätzung der puren Existenz gegenüber, den Dingen des täglichen Lebens und allem, womit man sich beschäftigt. Die Eltern übersiedeln in die Schweiz, Kazu besucht Schweizer Schulen, schafft die Matura. Der Kontakt zum Geburtsland bricht nie ab, die Sommerferien verbringt die Familie immer in Japan, und so entscheidet sich Kazu, in Tokyo an der Keio Universität Japanische Kunstgeschichte und Ästhetik zu studieren, die dafür notwendige Aufnahmeprüfung schafft sie locker.

Das Erbe

Die Mutter lehrt sie, beide Kulturen miteinander zu verweben, sie macht die japanische moderne Kunst in der Schweiz bekannt und umgekehrt, kein Leben zwischen den Welten, sondern mit ihnen. Fasziniert von Kreativität, die man, wie Kazu es ausdrückt, «in Japan auf die Spitze treiben kann», schreibt sich die junge Frau nach einem Intermezzo im Marketing und Verkauf bei Seidenkönig Andi Stutz und seinem Label Fabric Frontline in Zürich, an der Zürcher Hochschule für Gestaltung ein und geht zwei Jahre später noch ans Central Saint Martins College in London, wo sie eine der heiss begehrten Internships bei Vivienne Westwood ergattert. So umfassend ausgerüstet und mit Ideen geradezu überbordend, beginnt Kazu Huggler, selbst Mode zu entwerfen. Von Anfang an aber ist es nicht irgendwelche, sondern wieder etwas, was Japan mit der Schweiz verbindet. Sie sucht Inspirationen in der traditionellen japanischen Ästhetik und kreiert Kollektionen für den globalen Markt, die durch diese Vereinigung einen unverwechselbaren Stil erhalten.

Licht und Schatten

Das Leben meint es gut mit der Jungdesignerin, aber nicht so mit ihrem Heimatland: Als 2011 ein unfassbarer Tsunami und schwerste Erdbeben Tohoku erschüttern, gehört die inzwischen zweifache Mutter zu den ersten, die sich was einfallen lassen, um Mut zu machen, neue Perspektiven zu schaffen und beim Wiederaufbau mitzuhelfen. Sie gründet eine Non Profit Organisation, die Three Cranes Association, stiftet Nähmaschinen für Schulen und wird dabei tatkräftigt unterstützt vom Schweizer Nähmaschinenfabrikant Bernina. Die von Kazu Huggler entworfenen und von den Frauen in Rikuzentakata, einer Stadt, die beim Tsunami 2011 komplett zerstört wurde und deren Wiederaufbau immer noch andauert, angefertigten Produkte kann man bei Bernina, im Museum Rietberg, Haus Konstruktiv und bei KAZU (alles in Zürich) kaufen.

Eine grosse Ehre

Kazu Hugglers unermüdliche Aktivitäten bleiben auch den offiziellen Organen in Japan nicht verborgen. Im November 2014 durfte sie ihre allererste Brautmodenkollektion in der Residenz des Schweizer Botschafters Urs Bucher in Tokyo anlässlich der 150 Jahre-Jubiläums Schweizerisch-Japanischer diplomatischer Beziehungen präsentieren. Unter den illustren Gästen eine Person, mit deren Anwesenheit die Schweizer Designerin die in Japan höchstmögliche Anerkennung erfährt: Michiko, die Kaiserliche Majestät von Japan. Die einstige Bürgerliche wird mit Wohlwollen registriert haben, mit welcher Verve und Akribie Kazu Huggler die japanische Tradition in trendige Mode aus der Schweiz einbringt. «Die Kaiserin war insbesondere angetan von den aus Kimono Seiden hergestellten Brautkleidern», freut sich die Designerin, «Sie ist begeistert über meine Aktivität für den Wiederaufbau im Norden Japans. Ich habe an der Show selbst designte textile Accessoires zu den Brautkleidern präsentiert, die von den Frauen in Rikuzentakata hergestellt wurden. Die Frauen wurden an die Show eingeladen und hatten die Gelegenheit, sich mit der Kaiserin zu unterhalten.» Die Hochzeitskleider sind alles Unikate, zu einem Teil aus Hama Chirimen genäht, die beste Kimonoseide, die man in Japan bekommen kann. «Eine Rolle Stoff misst 13 bis 17 Meter und ist zwischen 35 und 38 Zentimeter breit», erklärt Kazu Huggler, «Daraus kann man genau ein Modell nähen, wegen der Breite der Stoffbahn. Also ist jedes Kleid ein Unikat». Und jede Rolle ist für sich eingefärbt, jede Farbe hat eine Bedeutung. In Japan wäre es eigentlich Tradition, im Kimono zu heiraten, aber immer weniger Frauen tun es, tragen Kimono generell seltener. Die Folge: Die Webereien für Kimonoseide sterben aus. «Ich sehe es als meine Aufgabe, diese Stoffe und Traditionen in die Moderne zu transferieren, auch damit die traditionelle Textilindustrie in Japan nicht ausstirbt». Die Chancen stehen gut, es spricht sich herum, dass die Modelle der Bridal Couture Collection 1-5-O – der Name steht eben für das 150 Jahr Jubiläum – einsame Klasse sind, es wird nie eine zweite Braut im selben Kleid geben. «Ein Hochzeitskleid zu nähen, ist eine sehr dankbare Angelegenheit», verrät Kazu Huggler, die bei jedem Stück Stoff, das sie in ihrem Atelier in Zürich verarbeitet, jeden Schritt der Herstellung kennt, «Die Kundin ist bereit, für so einen besonderen Tag auch etwas zu investieren und will aber natürlich genau wissen, woher der Stoff kommt, was die Geschichte dazu ist.» Die Hälfte der in Tokyo und auch auf den Mercedes Benz Fashion Days von 2015 gezeigten Hochzeitskleider sind aus Hama Chirimen, die andere Hälfte kommt von Fabric Frontline Zürich, in Como gewebte Seide, grosszügig gesponsert für diese einmalige Chance in der Botschaft in Tokyo. (Wer für sich selbst ein Kleid für den «schönsten Tag im Leben» will, kann entweder auf die fertige Kollektion zurückgreifen, oder aber sich ein neues massanfertigen lassen, aus Hama Chirimen oder einem anderen wunderbaren Stoff, die Auswahl ist gross, die Modelle der Bridal Couture Collection 1-5-O gibt es nur auf Bestellung.)

Weiter in die Moderne

Nach der Hochzeitskollektion hat Kazu Huggler noch eine weitere neue Linie lanciert: Concept by Kazu. Die Kleider-Kollektion besteht aus Basic Schnitten von 12 Jahren Kollektionen aus dem Atelier KAZU. Die Kundin kann sich den Stoff dazu aussuchen, zum Beispiel Wollcrêpe in allen erdenklichen Farben, oder in Polyester Chirimen, der in Kyoto bedruckt wird, ein weiterer Akt, um die östliche und die westliche Kultur zusammen zu führen: Indem sie Stoff nach japanischer Art herstellt, ihn zu europäischen Silhouetten vernäht, zu Basics, die in klassischer europäischer Nähkunst gearbeitet werden. Jedes Kleid kann individuell ergänzt werden, mit Schärpen, Schals, Drapées oder was auch immer der Designerin noch so einfällt, wenn sie die Kundin sieht. Persönliche Mode, die im Dialog entsteht, der durchaus auch immer einer zwischen Ost und West ist.

Mode im Kontext mit Kunst

All diese Erfahrungen kombiniert mit ihrem ureigenen Stil, Kleider aus Kimonostoffen direkt an der Kundin zu entwickeln, und die aktuelle Situation am Modemarkt haben Kazu Huggler heute zu der Konsequenz bewogen, eben nicht mehr saisonal bedingte Kollektionen zu kreieren, sondern Mode im Kontext von Kunst und Kultur zu betrachten. Sehr gerne verwendet Kazu Huggler dazu ehemalige Kimonos, denn auch die Beständigkeit und Wederverwertbarkeit – da steckt das Wort «Wette» drin – sind der Designerin wichtig. Welche Strahlkraft das haben kann, kann man bis 22. September 2019 im Museum Rietberg bestaunen, Kazu Hugglers Installation ist Teil der Ausstellung «Spiegel – Der Mensch im Widerschein». Wer das verpasst, der möge sich vor den Spiegeln im Atelier der Modekünstlerin einfinden und sich dort von der Würde und Erhabenheit, aber auch der unprätentiösen Eleganz und Tragbarkeit einer ihrer zeitlosen Kreationen verzaubern lassen. Wo das Atelier ist? Dort, wo früher Fabric Frontline war.

Fotocredits: © Boris Marberg © Christian Schnur © zVg © Makoto Nakagawa © Museum Rietberg

PS: Teile dieser Geschichte sind bereits früher mal im L’Officiel Switzerland erschienen und eine kurze Version kann man im aktuellen My Lux Book (Hausmagazin des Park Hyatt Zürich) nachlesen.

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