Contemplativer Wintersport

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«Der See liegt still und schweiget. Und aus den Wiesen steiget der weisse Nebel wunderbar.» Diese – falsch interpretierte, es ist im Original der Wald, der schwarz und schweiget – Zeilen aus Matthias Claudius’ Abendlied kommen mir in den Sinn, als ich an einem klirrend kalten Wintermorgen aus dem glasklaren blau behimmelten Binz in das mit einem dicken Wattebausch zugedeckte Maur hinabfahre. Meine Freunde sind schon gestern auf die ersten beschneiten Pisten aufgebrochen, ich aber habe eine Verabredung mit einem Stand Up Paddling Brett auf dem Greifensee. Die Bilder, die vor allem Initiator Stephan Schmid seit Tagen auf den sozialen Mediakanälen postet, machen gluschtig. Spiegelglatter See, leuchtend blauer Himmel, glückliche Menschen dick eingemummelt auf den schwimmenden Brettern, selig in den Tag hineinpaddelnd. Und nicht nur ein Mal als Gag, nein, teils täglich, ganz sicher aber an den Wochenenden. Sind das Verrückte?

GUTES MATERIAL IST ALLES

Am Holzsteg an der Schiffstation Maur wartet schon Stephan mit der Ausrüstung. Aus einer riesigen Kiste fischt er mir einen passenden wasserdichten Trockenanzug und schickt mich zum Umziehen. Ich habe vorher nicht gefragt, was man überhaupt anlegen sollte, bin aber glücklicherweise unter Jeans und Jacke mit Trainingskleidung genau richtig ausgerüstet, Funktions- oder Skiunterwäsche wären optimal. Ich betrachte kritisch den relativ dünnen Anzug, der soll warm halten? «Achte darauf, dass die Latexabschlüsse auf nackter Haut liegen, dann dringt kein Wasser ein.» Sollte ich in den See fallen, was bei geschätzten 5 Grad Wassertemperatur nicht mein Ziel ist. Umziehen darf ich mich in der Damentoilette, wahlweise an der Schiffanlegestelle oder in der Schifflände. Geübte SUPler kommen umgezogen oder ziehen sich auf dem Parkplatz um. Der Anzug hat eine wasserdichte Tasche für Wertsachen, an die Füsse kommen Latexsocken, die über dünne Wollsocken passen, darüber Surfschuhe aus Neopren, die Hände kann man in Ski- oder Neoprenhandschuhe stecken.

DIE WICHTIGSTEN REGELN

Stephan stattet mich mit einem Board Marke Eigenbau aus. «Von Anfang an möchte ich eigenes Material produzieren», erklärt der 37jährige, der bereits erfolgreich ein Business mit Snowboards in Zürich führt. «Wir stellen eigene Boards, eigene Paddel und eigene Anzüge her.» Und weil er bereits über eine Riesen Erfahrung verfügt, ist die Hardware auch 1A. Ich friere nicht, ich kann das Equipment selber handeln und fühle mich sicher. Zugegeben: Ich stehe nicht das erste Mal auf dem Board, ich bin in Norddeutschland geboren, nahe der Ostsee und war als Teenager eine Schönwetter-Windsurferin. Aber bei Wintertemperaturen auf einem wackeligen Board stehen, kein Rigg zum Festhalten, nur das Paddel – ich habe Respekt. Mit Schwimmweste ausgerüstet wate ich ein paar Schritte in den See und knie mich vorerst auf das Board. Mein Brett bekommt einen Schubs und ich gleite langsam in den Nebel, das Kursschiff tutet irgendwo gradaus. «Halte Dich links, dann kommst Du dem Schiff nicht in die Quere», weist mich Stephan an. Inzwischen sind acht andere auf ihren Boards unterwegs, viele von ihnen kommen regelmässig, mehrmals die Woche. Sie verabreden sich teils per Whats app, haben bereist eine eigene Ausrüstung oder mieten sie jedes Mal von Stephan.

DIE OFFENBARUNG

Ich paddle langsam Richtung Fällanden und dann zieht jemand den Deckel vom See. Ein unglaublich magischer Moment. Das Kursschiff wird sichtbar, das gegenüberliegende Ufer scheint greifbar, kleine Figuren sitzen unbeweglich, sie entpuppen sich als Fischer in ihren Booten. Die Sonne knallt, es wird sofort wohlig warm, ein unbeschreiblicher Glücksmoment. Als die Berge in Sicht kommen, ist der Kitsch perfekt. Ich bin inzwischen unter Anweisung eines Mitfahrers vorsichtig aufgestanden, habe die gebückte Angsthaltung überwunden, stehe aufrecht und fühle mich einfach grossartig. Stephan hat meine Metamorphose mit einem Grinsen beobachtet. Er schnappt sich eine Weste, wirft sie über Jeans und Hemd, steigt vom Steg direkt auf ein Board und folgt mir. Vor einigen Jahren haben ein Unfall und die Nach-OPs dazu geführt, dass das Snowboarden für den zweifachen Familienvater keine Option mehr ist. Er, der in Maur geboren und aufgewachsen ist, in Looren zur Schule gegangen und seine Bäckerausbildung in der Gemeinde gemacht hat, hat den Trendsport, der schon aus über Hundert Jahre alten Zeichnungen von den Südseeinseln und Hawaii bekannt ist, für sich als Wiederaufbausport und Therapie entdeckt und gefunden, das muss er teilen mit allen. Seit einigen Sommersaisons ist SUP Greifensee aktiv, es gibt eine Station in der Badi Maur, weitere Standorte sind in Planung. Und es soll ein Ganzjahressport werden. Stephan bietet Touren an, Anfängerkurse, sogar Kurse, wie man seinen Hund mit aufs Board nehmen kann. Jeder jeden Alters kann es lernen, einer der ältesten, die bei Stephan aufs Board gehen, ist weit über 80 Jahre alt. Man kann Sonnenaufgangsevents mitmachen, Yoga auf den Board ausüben, oder einfach nur entspannen.

EIN HIGHLIGHT

Wir sind auf der Mitte des Sees angekommen. Stephan sagt: «Und jetzt legst Du Dich hin.» Langsam auf die Knie, dann die Beine nach vorne wuchten, ausstrecken, das Paddel dabei quer genommen. Das Brett liegt flach im Wasser. Ich sinke langsam auf den Rücken. Über mir nur Blau Blau Blau, so treibe ich eine gefühlte Ewigkeit auf dem See. Mitten im Winter. Bei 5 Grad. Das Leben ist schön.

Wer Lust hat: Man kann sich auf www.supgreifensee.ch anmelden. Miete für alles 50 Franken, rund zwei Stunden Zeit sollte man sich nehmen. Wer tiefer einsteigen will: Für eine eigene Grundausrüstung (Anzug, Latexsocken, Schuhe, Handschuhe) muss man zwischen CHF 500 und CHF 600 rechnen, Boards variieren nach Bauweise, auf dem hauseigenen Onlineshop gibt es immer wieder gute Angebote. Im Sommer kann man ab CHF 25 für eine Stunde ein Board mieten, dann genügt ein Badeanzug für den Spass.

PS: Am Ende lande ich doch noch im See. Mit Absicht. Um auszuprobieren, wie es ist, so ausgerüstet reinzufallen. Es ist ein kühles Gefühl und man sollte zusehen, wieder aufs Board zu kommen. Aber es ist nicht Angst einflössend, man geht Dank Weste nicht unter und kein Wasser dringt an den Körper.

Erschienen in der Maurmer Post vom 13. Januar 2017

 

Words: Dörte Welti

Foto: © Stephan Schmid

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