SIE IST WEG

In Persönlich

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Nichts und niemand bereitet einen auf den Tod eines geliebten Menschen vor.

Wir haben uns praktisch nie gestritten. Aber jetzt bin ich extrem sauer. Du bist gestorben. Gefühlte Hundert Jahre zu früh. Du bist meine beste Freundin und hast es geschafft, mich mit Deinem es-wird-schon-wieder einzulullen. Habe ich auch sehr gerne geglaubt. Obwohl die Brustkrebsdiagnose mit befallenem Lymphsystem vor über vier Jahren eindeutig niederschmetternd war. Du bist ein Meister der Negierung, was nicht sein soll, ist auch nicht. Ein Jahr hast Du gekämpft, warst immer wie aus dem Ei gepellt, Deine Schalkreationen und Turbane, um die fehlende Haarpracht zu überdecken, haben so viel Aufsehen in Deinem Krankenhaus erregt, dass Du Anleitungen zum Nachmachen gegeben hast. Mit Volldampf in die Aufbauphase, Silikon, neue Dessous, das ganze Programm. Positiver als Du kann niemand an das Gute glauben. Die Metastasen hat das nicht interessiert, sie haben sich ausgebreitet. Schleichend erst, dann explosionsartig.

Erst ganz zum Schluss hast Du Dich ausnahmsweise Mal krank schreiben lassen, ansonsten immer durchgearbeitet, sensationelle Chefs haben Dir den Rücken gestärkt und Dich und Dein Team die Pace bestimmen lassen. Ein Traum. Eine Homöopathin hat dafür gesorgt, dass die ätzenden Chemos jeglicher Couleur einigermassen verträglich waren. Ein Lichtblick in dem ganzen Sumpf. Alles hat gestimmt, nur dieser verfluchte unberechenbare Krebs nicht. Wie jedes Jahr hast Du Ostern 2016 zum grossen Fest geladen in Dein herrliches Haus am Gardasee. Alle sind gekommen, wie immer, wenn Du rufst. Die meisten hatten keine Ahnung, wie es wirklich um Dich steht, Du hast ja auch niemandem die Wahrheit gesagt. Der Tag war natürlich perfekt orchestriert inklusive Deiner wohl getimten gelegentlichen Auftritte, perfekt gestylt wie immer, bevor Du Dich ab und zu «für ein Minütchen» ausruhen gingst.

Ich habe mich zu Dir ins Bett gelegt. Ich kenne Dich seit 35 Jahren. Auch mir hast Du verschwiegen, dass es Dein Abschiedsfest sein würde. Wir mussten jedoch nie sehr viele Worte wechseln, um zu verstehen. Tage später bist Du nach langem verbissenen Durchhaltekampf doch ins Krankenhaus gegangen und von dort nie wieder zurück gekehrt. DAS WAR SO NICHT GEPLANT! Wir wollten beginnen, uns letzten Sommer Häuser mit Blick aufs Meer anzuschauen. Unsere Kinder sind fast flügge, nicht mehr lange und sie brauchen uns nicht mehr täglich um sich. Wir wollten schlau sein und von langer Hand die Alters-WG planen, bauen vielleicht, oder umbauen, auf jeden Fall etwas angehen, was uns im nächsten Drittel unseres Lebens mit zusätzlichem Optimismus erfüllt. Und jetzt das. Es ist so nicht fair. Ich habe schon Vater, Bruder, engste Freunde, Idole verloren. Aber Dich, das hat mir den Boden unter den Füssen weggerissen. Es gibt keinen Ersatz. Niemand, der die ganze Story kennt. Niemand, der die Abgründe ebenso wie die Höhenflüge mitgemacht, mitgelitten, mitgefeiert hat. Auch wenn wir nie am selben Ort lebten, waren wir doch immer gemeinsam überall. Niemand weiss, warum es heute so ist wie es ist. Nur Du. Ich habe keine Ahnung, wie ich diese Lücke jemals füllen soll. Und ich kann die, die immer auf alles eine Antwort wusste nicht mal mehr fragen.

 

Words: Dörte Welti

Foto: © The Author

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