DIE AIRLINERIN

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La Regina

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Es ist über 20 Jahre her, dass im Büro von Moritz Suter, damaliger Chef der Fluglinie Crossair, eine junge bildhübsche Werberin steht und sich für eine verlockende Aufgabe verdingen möchte: Das InFlight Blatt Crosstalk zu überarbeiten. «Das Heft bestand nur aus einem Druckbogen, 16 Seiten», erinnert sich Regina Maréchal-Wipf, «Es war wirklich dünn, wurde von einer einzigen Person geschrieben, die auch noch alles selbst fotografiert hat.» Die gebürtige Baslerin hatte seit zehn Jahren leidenschaftlich in der Werbebranche gearbeitet, bei guten Agenturen und mit internationalen Kunden. Die Aufgabe war als Relaunch ausgeschrieben, 150 Kreative hatten sich für den in der Schweiz einmaligen Job beworben; Suter, Dauer-Umstrittener Unternehmer und Ex-Swissair Pilot, engagiert sie, und setzt die Überraschte sofort als Chefredakteurin ein. Die sagt sich, ganz oder gar nicht und macht sich vom ersten Tag dran, auch die schwierige Aufgabe der Anzeigenakquise zu übernehmen. Mit nur einer Angestellten kommt die No. 1 des neuen Crosstalk mit sage und schreibe 48 Seiten und sofort kostendeckend in die Flieger.

Regina erzählt die Geschichte gerne, mit leuchtenden Augen und leidenschaftlich, wie sie es sich bis heute bewahrt hat, mit ausladenden Handbewegungen.«Die 20 Jahre sind wie im Flug vergangen», lacht sie und betont im selben Atemzug, dass sie den andauernden Erfolg des Magazins, damals wie heute auch «meinem grossartigen Team zu verdanken habe». 2001 erschüttert die Schweiz das Grounding der nationalen Airline Swissair, auf der Grundlage der Crossair wird eine neue Fluggesellschaft aufgebaut, die natürlich auch ein neues Bordmagazin braucht. Die alte Gazette, anfänglich das Konkurrenzprodukt zum Crosstalk, macht dem neuen SWISS Magazine Platz und auch hier trägt Regina von Anfang an nicht nur die redaktionelle, sondern auch die kommerzielle Verantwortung. Sie ist es auch, die Star-Branddesigner Tyler Brûlé ins Spiel bringt, der schlussendlich für die gesamte Optik, den Markennamen SWISS und das damit zusammenhängende Corporate Design verantwortlich zeichnet. «Ich hatte Glück», rekapituliert die Chefredakteurin, «ich war intern angestellt. Wir konnten dann mit einem kleinen Team an die Arbeit gehen, das SWISS Magazine aufzubauen und haben so viel wie möglich outgesourct». Dabei kommt das Netzwerk der Unermüdlichen zum Tragen. Von Anfang an befolgt sie den Rat eines Kollegen und Travel-Insiders: «Bleib bei den guten Leuten, setz auf Qualität». 2002 erscheint das erste SWISS Magazine, entwickelt aus dem Crosstalk und legt eine bespiellose Erfolgsgeschichte hin. Das Magazin wird diverse Male ausgezeichnet, gewinnt Design- und Touristikbranchenpreise à go go. «Die Welt ist gross», findet Regina, «die Geschichten liegen auf der Strasse, oder besser: in der Luft».

Um diese zu finden, reist Regina selbst um den Globus. Sie hält inne, rechnet, überschlägt und konstatiert: «Ich habe an die 3000 Locations weltweit selbst getestet». Dazu kommen die unzähligen Reisen zu und für Anzeigenkunden, Treffen mit Stars und Persönlichkeiten aller Couleur, die Stoff für das Magazin bieten. «Zwei Mal im Monat bin ich immer irgendwo am Packen, mindestens», verrät die Umtriebige und es wird klar, warum sie in Basel, Sitz der Redaktion, nicht etwa ein grosszügiges Apartment, sondern eine gemütliche kleine Zweizimmerwohnung gemietet hat: Sie ist so gut wie nie zu Hause. «Ich gönne mir auch ein winziges pied-à-terre in Paris und habe an vielen Ort auf der Welt einen Koffer.» Das viele Reisen hat aber auch Schattenseiten: «Mindestens zwanzig Mal bin ich gezügelt, immer auf der Suche nach dem Traumort, zuletzt hatte ich mir eine schöne Bleibe in Marokko gemietet, ich dachte, ich könnte da glücklich werden.»

Wenn man so viel unterwegs ist, ist man nirgendwo und doch auf der ganzen Welt zu Hause. Ein Job, eine Berufung, die auch auf Kosten des Privatlebens geht, eine eigene Familie hat es nicht in das Leben der inzwischen 52-Jährigen geschafft. Sie hat Tausende von Leuten getroffen und ist doch immer allein: «Es ist schwierig, DEN Platz im Leben zu finden. Ich bin eine unruhige Seele, immer am Suchen. Es gibt fast einen Overkill an People & Places». Jetzt könnte man meinen, dass so ein Leben zwischen Flughäfen, Metropolen und Redaktion doch irgendwann mal ermüdet. Totaler Irrtum. «Jedesmal, wenn ich irgendwo lande, bin ich hellbegeistert. Vor allem von jungen Leuten, die meinen Weg kreuzen. Ich bin enthusiastisch und voll da».

Es gilt, Destinationen, die neu in den Flugplan aufgenommen werden, zu besuchen und eine Leadstory darüber zu produzieren. Das erledigt ein Schwarm von freelance schreibenden und fotografierenden Journalisten, alle genauso enthusiastisch und begierig auf das Neue, wie die Auftraggeberin selbst. Die Geschichten haben eine ganz eigene Dynamik, sie werden nicht etwa akribisch in der Redaktion vorbereitet, oder sind bezahlte PR-Stories, sondern entstehen vor Ort, alles live, die Produzenten sind praktisch wie Touristen unterwegs, die eine Stadt zum ersten Mal besuchen. Das liest man in jeder Zeile, spricht aus jedem Foto, macht den Erfolg und die Qualität des SWISS Magazine aus. Aber nicht alle Passagiere ticken gleich: «Uns wurde klar, dass auf Dauer ein Drei-Klassen-System schwer zu verkaufen ist und die Passagiere in der Economy Class und der Business Class nicht nur andere Reisegewohnheiten sondern auch unterschiedliche Lesegewohnheiten pflegen», erzählt die Blattmacherin, und so wurde SWISS UNIVERSE geboren, das InFlight Magazin für die First und Business Class, das vier Mal im Jahr erscheint. Genau so aufwendig produziert und genau so erfolgreich, die Nullnummer hat sie nur herausgebracht, als sie break-even verzeichnen konnte. «Advertising is a people-business», fachsimpelt Regina und lässt die ehemalige Vollblutwerberin durchblicken. Sie hält fest: «Viele der Kunden sind so lange dabei wie ich». Aus einigen Kunden sind über die Jahre auch Freunde geworden, und es ist immer ein emotionales Business, wenn auch Business, schliesslich sollen die Kunden Anzeigen buchen. «Alle fliegen SWISS», freut sie sich, «und wenn man sich trifft, bekommt man immer als erstes die Story vom letzten Flug erzählt». Von Berührungsängsten mit den grossen Namen der Branche ist nichts zu spüren, denn Regina hat eine ganz besondere Erfahrung in dieser angeblich so oberflächlichen Welt gemacht: «Allen, die ich in der Branche kenne, ist bewusst, dass Luxus ein tolles Gebiet ist. Sie sind in der Regel dankbar, dort wo sie sind, arbeiten zu können und sie sind normal geblieben. Sie sind stolz auf ihre Marke, ohne abgehoben zu sein». So wie sie stolz ist auf SWISS. «Du musst immer wissen, wo Du stehst. Ich bin keine Jetsetterin, nur Angestellte, eine Airlinerin. Ich bin eingeladen, hier zu arbeiten».

Jetzt könnte man versucht sein, vor lauter Ehrfurcht über so viel Demut, Glück und Wertschätzung diese einzigartige Kämpferin für etwas Übernatürliches zu halten, die schönen Worte klug und strategisch eingesetzt. Aber wir sitzen während des Gesprächs in ihrer besagten Zweizimmer-Wohnung in Basel, jede Ecke dekoriert mit Trouvaillen von Reisen, Berge von Heften und Büchern, Bilder. Sie zückt das Handy und scrollt durch die Fotos: «Ich bin ein Oberfreigeist und muss neben alldem noch was Eigens machen», erklärt die Ruhelose, zeigt Snapshots von der jüngsten Renovationsaktion der Bleibe in Marokko, von zwei Stühlen in Paris, die sie «meine Sitzecke» tituliert, von einem Beau mit Surfboard vor einer berauschenden Meereskulisse, der unfassbar tolle Dinge für den Klimaschutz und die Umwelt tut und Regina so begeisterte, dass er Gegenstand einer Reportage wurde, und von sich selbst, mit Sonnenhut, mal ganz relaxt. Gottseidank, sie hat auch ein Leben, denkt man, und dann sind die Anekdoten voll von und-das-habe-ich-dann-für-unsere-Hefte-genommen Nebensätzen.

Sie hält inne, eine Millisekunde, schaut fragend, ob man die Zillion Informationen auch aufgesogen und verarbeitet hat, die Tatsache, dass das SWISS Magazine jeden Monat 1.2 Millionen Menschen mit «easy reading und light entertainment», wie sie bescheiden meint, jeden Monat in 23 Ländern und 100 Destinationen mit einem Magazin erreicht. Die Millisekunde muss genutzt werden für eine essentielle Frage: Wie um Himmels Willen hält man das durch??? «Rituale», sagt die Dauerfitte, «Ich gehe jede Woche in die Sauna, ich meditiere, ich schlafe extrem gut. Wenn ich mit Jetlag rechnen muss, meditiere ich 20 Minuten, das ersetzt 4 Stunden Tiefschlaf, bildet Melatonin. Ich trinke Unmengen von Tees zum Wecken, zum Beruhigen, für alle Fälle. Ich bin ein Gourmetfreak, aber nur für gesundes Essen. Ich mag die super einfache Küche, Nüsse, Datteln, Olivenöl. Und Wein. Wein macht schön, der konserviert uns, hat eine anti-aging Wirkung, ich trinke jeden Tag ein Glas. Weissen und Roten in Massen, also massvoll. Früher war ich noch viel mehr unterwegs, mal eben zum Coiffeur nach Los Angeles, zu einer Ausstellung nach Tokyo. Heute versuche ich, etwas länger am Boden zu bleiben, mich vermehrt meinem Privatleben zu widmen und nehme schon mal den TGV nach Paris.» Check. Alles mitgeschrieben? Eine kopierwürdige Guideline für Vielflieger, ohne Frage.

Und sie entwickelt weiter. Regina hat die Chefredaktion des SWISS Magazines in die Hände zweier gut eingespielter Mitarbeiterinnen gelegt, ist nach wie vor Verlagsleiterin des Bordmagazins, und Chefredakteurin und Verlagsleiterin des SWISS UNIVERSE plus Head of corporate publishing. Das neueste Projekt, die UNIVERSE App, wird à la Maréchal-Wipf gestemmt: Die kommerzielle Verantwortung liegt bei ihr, das Baby muss profitabel von der Sekunde der Aufschaltung an laufen. Ein Plan, an dessen Erfolg ich keine einzige Sekunde lang zweifle.

 

Words: Dörte Welti

 

Foto © Agi Simoes

 

UNIVERSE App: https://itunes.apple.com/de/app/swiss-universe-luxury-edition/id1002388579

 

Erschienen in L’OFFICIEL Voyage

 

 

 

 

 

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